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Der weite Weg zum Parlament: Von der Monarchie zur Republik

Georg Schmidt-von Rhein

Die Wiesbadener Revolution

Man schreibt den 4. März 1848, einen Fastnachtssamstag. Der Platz vor dem Wiesbadener Schloß ist voller Menschen, die von überall aus dem Nassauer Land herbeigeeilt sind. Die Versammlung hat aber nichts mit Fastnacht zu tun. Schon seit Tagen gärt es in der Stadt. Die Nachricht vom Sturz der Monarchie in Paris am 24. Februar hat auch in Nassau zur Forderung nach Veränderungen und Reformen geführt: Volksbewaffnung, Pressefreiheit, Einberufung eines deutschen Parlaments, Vereidigung des Militärs auf die Verfassung, Vereinigungsfreiheit, Öffentlichkeit der Schwurgerichtsverfahren, Umwandlung der Domänen in Staatseigentum, Wahlrecht für alle Bürger und Religionsfreiheit, das sind in dieser Reihenfolge die neun Forderungen der Nassauer, welche unter der Führung von August Hergenhahn am 2. März auf dem Theaterplatz verlesen und durch Flugblätter in ganz Nassau verteilt worden sind. Nun soll der Herzog die Forderungen anerkennen. Stimmen zur Ausrufung der Republik werden laut. Der Drang zu den Waffen droht sich zu einem Sturm auf das Zeughaus zu entwickeln. Das Mißtrauen wächst.

Der Herzog ist am 27. Februar nach Berlin gereist, um sich mit den anderen deutschen Fürsten zu beraten. Die Menge befürchtet, daß er unter dem Schutz der Bundestruppen aus Mainz dem Aufbegehren ein gewaltsames Ende bereitet wird. Um die Masse zu beruhigen, hat Staatsminister Emil August von Dungern nicht nur den Anmarsch von Bundestruppen in Abrede gestellt, sondern auch versichert, daß er die Eisenbahnschienen an der Grenze zu Mainz abdecken lassen würde, so daß ein Truppentransport von Mainz mit der Eisenbahn ausgeschlossen sei.

Es ist 10.00 Uhr morgens. Der Herzog ist immer noch nicht zurück. Tausende strömen hinzu, Patrouillen der durch das Sicherheitskomitee eingerichteten Bürgerwehren übernehmen Ordnungsfunktionen. Da erklärt der Staatsminister vor dem Sicherheitskomitee, welches die Nassauer Bürger vertritt, daß er die vorgebrachten Forderungen bewillige und der festen Überzeugung sei, daß auch der Herzog sie bewilligen werde. Die verwitwete Herzogin Pauline und Prinz Nicolas bezeugen durch ihre Unterschriften das Einverständnis mit dieser Erklärung. 13 Bürger beglaubigen die Unterschrift der Bürgschaft, damit die Massen beruhigt werden.

Um seiner Vertrauenswürdigkeit Nachdruck zu verleihen, versichert der Staatsminister zudem, daß er ohne Pension sein Amt quittieren werde - was im Hinblick auf eine Familie mit 7 Kindern und ohne nennenswertes Vermögen besonders risikofreudig war -, wenn der Herzog die Forderungen nicht akzeptiert. Trotzdem heizt sich die Situation durch den Zuzug weiterer Bauern aus dem Rheingau und dem Westerwald sowie durch den Zustrom von Mainzer Revolutionären auf.

Der Staatsminister geht nun noch einen Schritt weiter: Zur Beruhigung des Volkes läßt er durch Flugblätter verbreiten, daß keine Steuer im Lande bezahlt werden soll, bis die Genehmigung seiner Hoheit des Herzogs zu der heute erfolgten Konzession gegeben sei.

Wilhelm Flindt, der Kanzlist im Nassauischen Staatsministerium, berichtet in seinem Schreiben von diesem Tage an August Freiherr von Bibra über die Lage: "Procurator Hergenhahn verlas dieses Manifest nochmals vom Rathause und die obengenannten hohen Personen an derselben Stelle wurden dem Volke als die Garanten dieser Versprechung bezeichnet. Großer Enthusiasmus hierauf. Hoch der Herogin, dem Staatsminister. Währenddessen vergrößern sich die Massen in furchtbarer Weise: die Aufregung steigt auf eine fürchterliche Höhe, da viele mit dem Verheißenen nicht zufrieden sind, sonderm vom Herzog selbst genehmigt werden müsse. Die Herogin und der Staatsminister könnten nichts bewilligen...Fortwährend Zugang von Massen Volkes. Von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde wächst die Aufregung. Freiheitsfahnen werden neben der nassauischen Fahne aufgesteckt. Man schreit: Republik. Procurator Hergenhahn wird am Kursaal beinahe das Opfer der Wut. Das Militär wird halb auf die Verfassung vereidigt. General von Preen schwört mit. Der Staatsminister ist an der Kaserne, am Zeughaus, hält Anreden, die Aufregung steigt. Ein Teil läßt den Minister leben, der andere verlangt Rebuplik, provisorische Regierung, will das Zeughaus im Kasernenhof stürmen. Die Fahnen werden heruntergerissen von Ausländern. Die Bürgergarde schreitet kräftig ein. Der entscheidende Moment ist gekommen. Alles steht auf dem Spiel. Der Staatsminister beschließt am Kursaal mit Hergenhahn, Preen p.p., um die Bildung der provisorischen Regierung zu vermeiden, mit der Hälfte der Truppen vors Schloß zu ziehen, zu siegen oder zu sterben!"

Inzwischen ist es Nachmittag geworden. Gegen 17.00 Uhr trifft der Herzog mit der Eisenbahn über Eisenach von Frankfurt kommend in Wiesbaden ein. Das Erscheinen des Herzogs - in Uniform, ohne Begleitung zu Fuß von der Rheinstraße zum Schloß gehend - läßt die Massen zurückweichen. Die "Freie Zeitung", das erst am 3. März ins Leben gerufene Presseorgan der Republikaner, berichtet in seiner 3. Ausgabe vom 5. März: "Der eben von Berlin über Eisenach in der größten Eile angekommene Herzog hat augenblicklich nach seiner Ankunft im Schloß vom Balkon herab folgende Worte gesprochen: "Nassauer! Die Forderungen, die Ihr an mich gestellt habt, deren Gewährung euch mein Minister versprochen und meine Mutter und mein Bruder mit ihrem Namen verbürgt haben, genehmige ich und werde ich halten." Nach lautem Jubel fuhr er fort: "Habt Vertrauen auf mich, wie ich Vertrauen habe auf eure Treue und Muth, wenn das Vaterland bedroht ist und eurer dedürfen sollte." Zweites Leb hoch. "Nun geht mit Gott nach Hause und habt Vertrauen zu mir, wie ich auf euch." Der Jubel und das Hochrufen nahm erst ein Ende, als der Herzog mehrmals mit dem Hut beschwichtigend winkte, er rief noch dem kommandirenden Offizir zu, daß die Soldaten in die Kasernen abgehen möchten und blieb noch mit seiner Mutter, seinen Geschwistern und dem Staatsminister von Dungern eine Zeit lang auf dem Balkon. Wenn man bedenkt, daß über 20.000 Menschen vor dem Schloß versammelt waren, daß Jeder von der Wichtigkeit und Heiligkeit dieses Augenblicks durchdrungen war, dann mag man die Freude und das Hochgefühl einigermaßen schätzen können, welches dieß deutsche Fürstenwort in allen Herzen verursachte. Zwischen unserem Fürsten und dem Volk ist keine Scheidewand mehr: Hoch lebe Herog Adolph!"

Mit diesem Abschluß war die Revolution zur Ruhe gekommen. Das monarchische Prinzip war gerettet - und das zu einem Zeitpunkt, zu dem in London gerade das kommunistische Manifest von Marx und Engels in deutscher Sprache erschienen war.

Die Versprechungen des Staatsministers und des Herzogs entsprachen nicht ihren wahren politischen Vorstellungen. Beiden ging es allein darum, die bestehende konservative Ordnung zu erhalten und dem Land eine echte Revolution zu ersparen. Dabei ist anzumerken, daß sie von ihren politischen Grundsätzen wirklich überzeugt waren, die bestehende landständische Verfassung für ein optimales politisches System hielten und allenfalls zu Reformen in beschränktem Ausmaß bereit waren.

Die landständische Verfassung von 1814

Die in der Biebricher Residenz erlassene landständische Verfassung stammte vom 1./2. September 1814 und war die erstwe und modernste ihrer Art auf deutschem Boden. In Biebrich, der Residenz des Herzogtums Nassau, in Kraft gesetzt und noch vor Abschluß des Wiener Kongresses beschlossen, sollte sie als Beweis dafür dieen, daß die Residenz Nassau auch geistig die Wende vom Napoleonismus zu den deutschen Verbündeteten vollzogen hatte. Das nassauische Verfassungsedikt war zwar durch die Ideale der französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit beeinflußt, hielt aber an dem monarchischen Prinzip, das keine Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus kannte, fest und beließ das Recht der Gesetzgebung weitgehend bei dem Herzog.

Dem Freiherrn von Stein, dem in napoleonischer Zeit seine nassauischen Besitzungen zugunsten des Herzogtums Nassau entzogen worden waren und dem man nicht nur mit der Rückgabe seiner Ländereien, sondern auch politisch entgegenkommen mußte, ist es zu verdanken, daß erstmals in der deutschen Verfassungsgeschichte die Sicherheit des Eigentums und die persönliche Freiheit garantiert wurden. Auf Steins Initiative wurde den Ständen außer dem Recht zur Bewilligung von Steuern und der Überwachung von Ausgaben auch das Recht eingeräumt, neue Gesetze zu beantragen, sowie Untersuchungskommissionen gegen den Staatsminister zu fordern, und es wurde ihnen die Befugnis übertragen, über die unabhängige Tätigkeit der Justizorgane zu wachen. Trotzdem handelte es sich um keine Verfassung im heutigen Sinne, da sie von keiner verfassungsgebenden Versammlung beschlossen, sondern vom Landesherrn "nach dem Ratschluß der göttlichen Vorsehung", die dem souveränen Fürst die unbeschränkte Gesetzgebungs- und Regierungsgewalt verliehen habe, in Kraft gesetzt wurde. So fehlte den Landstänen der Charakter einer echten Volksvertretung. Weitgehend alles das, was ein parlamentarisches Gremium von heute auszeichnet, mangelte den Landständen: Sie durften nicht aus eigener Initiative zusammentreten, sondern sollten von dem Staatsministerium jährlich zwischen dem 1. Januar und dem 1. April einberufen werden. Die Sitzungen waren nicht öffentlich und konnten jederzeit vom Landesherrn unterbrochen werden. Ja, dem Landesherrn blieb sogar die gänzliche Auflösung nach seinem Gutdünken vorbehalten.

Demgemäß war die Zusammensetzung der Landstände absolut willkürlich: Der Herrenbank gehörten die Prinzen des Hauses Nassau nach vollendetem 21. Lebensjahr sowie eine gewisse Anzahl begüterter Personen des höheren Adels an. Die Deputiertenkammer bestand aus 22 Landesdeputierten, die sich aus Angehörigen bestimmter Berufsstände und Einkommensgruppen zusammensetzten. Allein die Gutsbesitzer stellten 15 Vertreter und hatten damit eine absolute Mehrheit. Das Gesamtbild präsentiert sich als eine von oben oktroyierte Verfassung, die das System des monarchischen Gedankens auf Dauer bewahren sollte.

Reformen

Die Ereignisse vom 4. März 1848 änderte dieses Bild nicht grundlegend. Zwar hatte der Herzog die neun Forderungen der Nassauer akzeptiert und war auch willens, diese zu erfüllen. Aber er erfüllte sie nur notgedrungen. Seine eigenen Vorstellungen suchten andere Wege. Es ist bemerkenswert, daß die Bereitschaft zur Reform nur so lange anhielt, als die äußeren Verhältnisse ihn dazu drängten. So widerstrebte ihm die Entlassung seines Staatsministers von Dungern zutiefst. In einem handschriftlichen Privatbrief vom 1. April 1848 schrieb er ihm unter anderem:
  "Ich war stets, und namentlich seit den letzten vier Jahren, wo sie mir als Minister zur Seite standen, gewohnt, Sie als meinen treuesten Diener und, was mehr ist, als meinen treuesten Freund zu betrachten. Die letzten Wochen haben diese Überzeugung gerechtfertigt und dies Gefühl in hohem Maße verstärkt. Die Macht der Verhältnisse reißt uns auseinander, - ihr nachgebend lasse ich Sie gehen, sei es auch mit blutendem Herzen. Sie sind ein Schüler meines seligen Vaters, und durch Sie sind mir großenteils seine Lehren überkommen. - Ich betrachte Sie also als meinen Lehrer und habe auch in den letzten vier Jahren mehr gelernt als in den früheren 26. Daß unser System, das System aller bisherigen großen Staatsmänner, gestürzt ist, ist nicht unsre Schuld. Gott hat es so gewollt, dessen Willen wir uns fügen müssen."

Herzog Adolph selbst empfand tiefen Kummer, seinen Prinzipien, die er noch in Berlin gegenüber Friedrich Wilhelm IV. bestätigt hatte, untreu geworden zu sein. Doch dem Zwang der Verhältnisse folgend leitete er die Erfüllung der gegebenen Versprechen ein. Bereits am 10. April 1848 wurde in der Nr. 12 des Verordnungsblattes des Herzogtums Nassau durch landesherrliches Edikt das neue Wahlgesetz verkündet, welches an die Stelle der Landstände ein Einkammersystem setzte. In einem repräsentativen Wahlsystem konnten alle volljährigen männlichen Gemeindbürger über die Wakl eines Wahlmännergremiums mittelbar eine gewisse Anzahl von Deputierten für die Ständeversammlung bestimmen. Dabei war durch Festsetzung von 14 Wahlbezirken und der entsprechenden Deputiertenzahlen auf der Grundlage der in den Wahlbezirken vorhandenen Einwohner festgelegt, daß sich die 41 Deputierten gleichmäßig auf das Wahlgebiet verteilten. Das Wahlrecht war geheim und seine Verfälschung durch Strafvorschriften abgesichert. Das so gewählte neue Parlament verabschiedete binnen kurzer Zeit eine Menge von Gesetzen, die das staatliche Leben reformierten. Am 16. April wurde der Führer der Revolution, der Anwalt August Hergenhahn, zum neuen Staatsminister ernannt.

Die Nationalversammlung in der Paulskirche

Wer aber geglaubt hatte, die nassauischen Geschicke seien auf guten Wegen, wurde in der Folgezeit enttäuscht. Die Zeit arbeitete für die Monarchie und gegen die Republik. Das war im wesentlichen durch die bundespolitische Entwicklung bedingt, welche mit dem Scheitern der Nationalversammlung und der gewaltsamen Niederschlagung der Aufstände in Franfurt, Baden, Wien, Dresden und anderen Städten den Rückfall in die Reaktion einleitete. Dabei waren die Aussichten für eine nationale Verfassung zunächst gar nicht so schlecht gewesen: Ein Vorparlament, das vom 31. März bis 3. April 1848 in Frankfurt versammelt war, hatte die Voraussetzungen für die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, die in allgemeinen, gleichen und freien Wahlen gewählt werden sollte, geschaffen.

Am 18. Mai tritt die deutsche Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche zum ersten Mal zusammen. Trotz der ihr fehlenden Machtbefugnisse einigt man sich am 28. Juni auf eine provisorische Zentralregierung und beruft den österreichischen Erzherzog Johann zum Reichsverweser. Das am 21. Dezember verabschiedete Gesetz über die Grundrechte wird bereits am 27. Dezember 1848 verkündet und enthält grundlegende Rechte für die Bürger und rechtsstaatliche Prinzipien: Bewegungsfreiheit und Auswanderungsrecht, Erwerbsfreiheit, Gleichheit vor dem Gesetz, Pressefreiheit, Glaubens- und Gewissensfreiheit, Freiheit der Wissenschaft und Lehre, Versammlungsfreiheit und Freiheit der Vereinsbildung, Unverletzlichkeit des Eigentums, Aufhebung von Hörigkeit und Untertänigkeit, Unabhängigkeit der Gerichte und Trennung von Exekutive und Judikative.

Aber bereits im Spätherbst 1848 kündigt sich die Wende an. Am 9. November wird der Abgeordnete Robert Blum, Angehöriger der radikal-liberalen Fraktion in der Nationalversammlung, nach Abgabe einer Sympathieerklärung für die Aufständischen in Wien standrechtlich erschossen. Die Nationalversammlung ist schockiert, aber machtlos. Auch in der nationalen Frage will Österreich andere Wege gehen. Es ist nicht bereit, sich in einen von der Mehrheit der Nationalversammlung geforderten großdeutschen Bundesstaat einbinden zu lassen. Trotzdem verabschiedet die Nationalversammlung am 28. März 1849 die erste gesamtdeutsche Reichsverfassung. Der zum Reichsoberhaupt gewählte preußische König lehnt jedoch die Kaiserkrone mit der Begründung ab, daß die Bestimmungen der Verfassung geeignet seien, "allmählich und auf anscheinend legalem Wege die oberste Gewalt zu beseitigen und die Republik einzuführen". Damit ist das Werk der Paulskirche gescheitert. Auch die österreichische Regierung sagt sich von der Nationalversammlung und der Reichsverfassung los. In der Folge werden in den ersten Maitagen der Aufstand in Dresden von sächsischen und preußischen Truppen niedergeschlagen und im Juli der Badische Aufstand durch preußische und Reichstruppen blutig beendet.

Die Reaktion

Nicht nur in den anderen deutschen Ländern, sondern auch in Nassau führten diese Ereignisse zu einer Stärkung der reaktionären Kräfte: Zwar erklärte Herzog Adolph noch am 28. Dezember 1849, also zu einem Zeitpunkt, als die Revolution schon überall gescheitert war, die von der Frankfurter Paulskirchenversammlung formulierten Grundrechte zu geltendem Verfassungsrecht in Nassau. In einer "Zusammenstellung des nach den Gesetzgebungen in dem Herzogtum Nassau geltenden Staatsrechts" galt das aus freien Wahlen hervorgegangene Parlament als Träger der Legislative. Dem Herzog oblag die Exekutive , er haate die Gesetze in Kraft zu setzen und über die Einberufung und die Auflösung des Landtages entscheiden. Die Rechtsprechung war ausschließlich unabhängigen Gerichten anvertraut. Doch sollte dieser Zustand einer konstitutionellen Monarchie nur noch kurze Zeit währen.

Nachdem der wiedererstandene Deutsche Bund am 23. August 1851 die Grundrechte aufgehoben hatte, publizierte die nassauische Regierung diesen Beschluß am 27. September 1951 mit dem lakonischen Zusatz, daß dieser Beschluß hiermit für Nassau in Wirksamkeit gesetzt werde. Nun stand der Regierung nichts mehr im Wege, Verfassung und Wahlgesetz ihren konservativen Vorstellungen anzupassen: Der Landtag wurde wieder in zwei Kammern geteilt. Die erste Kammer war rein ständischer Natur. Ihr gehörten der volljährige Prinz des herzoglichen Hauses Nassau und weitere Häupter standesherrlicher Familien sowie 9 Abgeordnete an, die von den höchstbesteuerten Grundbesitzern und Gewerbetreibenden gewählt wurden. Die zweite Kammer setzte sich aus 24 Abgeordneten zusammen, die aus den verschiedenen Vermögensklassen gewählt wurden.

Mit der Aufhebung der Grundrechte, der Wiedereinführung des Zweikammersystems und der Übernahme des Dreiklassenwahlrechts war die Reaktion auch verfassungsrechtlich vollzogen. In der Praxis beherrschte ein auf Regierungsebene von den Mitgliedsstaaten des Deutschen Bundes eingerichteter geheimer Polizeiverein, der in Nassau über die Ämter aktiv wurde, das politische Geschehen. Um das Wiederaufleben einer revolutionären Situation unter allen Umständen zu verhindern, wurde die Überwachung insbesondere liberaler und demokratischer Kräfte mit äußerster Umsicht und Sorgfalt vorgenommen. August Hergenhahn, der sein Amt als Minister schon am 7. Juni 1849 niedergelegt hatte, wurde zunächst von dem früheren Direktor des Hofgerichts Friedrich Gerhard Freiherr von Wintzingerode und dann im Februar 1852 von dem Prinzen August Ludwig von Sayn-Wittgenstein-Berleburg abgelöst, einem ehemaligen General, der für die Niederschlagung des Aufstandes in Baden verantwortlich gewesen war. Herzog Adolph begründete diesen Schritt mit den Worten, daß "alle Gutgesinnten...einen wahren Wunsch nach einem Minister (haben), der die Knute zu führen weiß". Am 24. Oktober 1852 wurde die Paulskirche wieder dem Gottesdienst übergeben. Die Unterdrückung und Verhaftung von demokratischen Kräften führte zu einer Massenauswanderung nach England, in die Schweiz und vor allen Dingen nach Amerika.

Norddeutscher Bund und Deutsches Reich

Der schwierige Weg von der Monarchie zur Republik ist im weiteren Verlauf des Jahrhunderts durch zwei nicht nur für Nassau einschneidende Ereignisse gekennzeichnet: Die Annexion Nassaus durch Preußen und die Gründung des Deutschen Reiches. Beide Geschehnisse sind eng miteinander verknüpft. Otto Fürst von Bismarck, der am 8. Oktober 1862 von Wilhelm I. zum preußischen Ministerpräsidenten ernannt worden war, beeinflußte fortan die Polotik in Deutschland maßgebend. Er sah die Möglichkeit, durch den nationalen Gedanken eine Machterweiterung Preußens herbeizuführen. Sein Ziel war die Herstellung der deutsch-nationalen Einheit unter der Führung des Königs von Preußen. Seine öffentlich zum Ausdruck gekommene Gesinnung "Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut" sollte sich bald bewahrheiten. Als sich Nassau in der Auseinandersetzung zwischen Preußen und Österreich auf die Seite Österreichs schlug, war dies das Ende des Herzogtums. Schon am 18. Juli 1866 rückten preußische Truppen in Biebrich und Wiesbaden ein. Am 31. Juli übernahm der Landrat von Wetzlar, Gustav von Diest, als preußischer Zivilkommissar die Verwaltung des Herzogtums.

Die Anthipathien des preußischen Königs gegen das nassauische Herrscherhaus förderten die Entwicklung zur Annexion. Nationalpolitische Überlegungen waren auch für die übrigen preußischen Gebietserweiterungen ursächlich. Es lag in der Logik der Sache, daß der deutsche Bund, in dem Österreich den Vorsitz geführt hatte, aufgelöst und durch den NOrddeutschen Bund unter preußischer Führung ersetzt wurde. Mit der Errichtung des Norddeutschen Bndes erreichte Bismarck zweierlei: Er scharte einerseits alle konservativen Kräfte um sich, die an dem Erhalt und der Macht der Monarchie interessiert waren. Andererseits stellte er mit dem Zugeständnis von allgemeinen, gleichen und direkten Wahlen zum Norddeutschen Reichstag einen großen Teil der Demokraten zufrieden. Beide Gruppen sahen sich zudem durch diese Entwicklung der Lösung der nationalen Frage näher.

Die Lösung der nationalen Frage suchte Bismarck in der Auseinandersetzung mit Frankreich: Letzteres sah sorgenvoll die Machterweiterung Preußens. Bismarck hatte die süddeutschen Staaten zur Waffenbrüderschaft verpflichtet. Als im Kampf um die spanische Erbfolge eine Einigung mit Frankreich weder erwünscht noch aussichtsvoll erschien, provozierte Bismarck durch die Emser Depesche Frankreich zur Kriegserklärung. Mit dem Sieg bei Sedan am 2. September 1870 und der Ausrufung des Königs Wilhelm I. zum Kaiser im Spiegelsaal von Versailles am 18. Januar 1871 war die von oben initiierte revolutionäre Reichsgründung vollendet.

Die Reichsverfassung vom 16. April 1871 stellte sich als eine Nachbildung der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1866 dar. Der Kaiser als Monarch und oberster Herrscher führte die Außenpolitik, war Herr über Heer und Flotte und bestimmte ausschließlich über die Ernennung von Beamten und Richtern in Preußen und im Reich. Weiteres Regierungsorgan war der vom Kaiser ernannte Reichskanzler, der weder vom Reichstag gewählt wurde, noch seines Vertrauens bedurfte und auch von diesem nicht abgewählt werden konnte. Der Reichskanzler und seine Staatssekretäre waren allein dem Kaiser verantwortlich. Der Reichstag, der in geheimer und direkter Wahl von allen männlichen Staatsangehörigen mit dem Mindestalter von 25 Jahren gewählt wurde, war also kein Souverän.

Neben dem Reichstag amtierte als zweite Kammer der Bundesrat, die Vertretung der einzelnen Bundesstaaten. Von den insgesamt 58 Stimmen standen 17 Stimmen Preußen und 21 Stimmen den nord- oder mitteldeutschen Kleinstaaten mit überwiegend preußischer Orientierung zu, so daß für Preußen entweder eine Mehrheit, zumindestens aber eine erhebliche Sperrminorität vorhanden war. Vorsitzender auch dieses Gremiums war der Reichskanzler und preußische Ministerpräsident, der einzige, der kraft seines Amtes Reichsgewalt ausüben konnte.

Gesetze und Haushalt bedurften der Zustimmung des Reichstages. Damit hatte das Parlament zwar das jährliche Budgetrecht und konnte durch die gesetzgeberische Arbeit Einfluß auf das staatspolitische Geschehen nehmen. Die fehlende Verantwortlichkeit des Kanzlers und seiner Staatssekretäre gegenüber dem Reichstag ließ jedoch keine Möglichkeit für personelle Konsequenzen, wie beispielsweise durch Abberufung oder Abwahl, ein Mittel, das in der parlamentarischen Demokratie zum Selbstverständnis des Parlaments gehört. Nur die Tatsache, daß Reichskanzler und Reichstag in der Gesetzgebungsarbeit aufeinander angewiesen waren, gab dem Reichstag eine gewisse Position im staatlichen Machtgefüge. In der Praxis wurde dieser "unvollendete Verfassungsstaat" weitgehend nur von einem einzigen Mann regiert, von Otto von Bismarck.

Wiesbaden und Biebrich in preußischer Zeit

Für die ehemals nassauischen Gebiete wie Biebrich und Wiesbaden gab es durch die Eingliederung in den preußischen Staat keinen Sonderstatus. Aus den annektierten Gebieten des Herzogtums Nassau, der ehemals freien Reichsstadt Frankfurt am Main, aus dem Kurfürstentum Hessen-Kassel und Gebieten der Landgrafschaft Hessen-Homburg bildete man die preußische Provinz Hessen-Nassau mit einem Oberpräsidenten in Kassel. Sie setzte sich aus zwei Regierungsbezirken zusammen, an deren Spitze je ein Regierungspräsident stand, der die aus Berlin kommenden Weisungen auszuführen hatte. Mit dem ehemals preußischen Landrat aus Wetzlar, Gustav von Diest, der schon als Zivilkommissar die besetzten Gebiete verwaltet hatte, wurde am 2. März 1867 auch der erste preußische Regierungspräsident in Wiesbaden eingesetzt. Biebrich verlor seine Eigenschaft als Residenz. Nach dem Vertrag zwischen König Wilhelm von Preußen und Herzog Adolph von Nassau vom 18. September 1867 gingen Schloß und Park mit allen Nebengebäuden in den Privatbesitz des Herzogs über.

Bis 1891 galt noch die alte nassauische Gemeindeordnung aus dem Jahre 1854, nach der der tüchtige Bürgermeister aus nassauischer Zeit, Johann Heppenheimer, von 1861 über alle Umwälzungen hinweg bis 1891 die Geschicke Biebrichs leitete. Erst am 1. Juli 1891 trat auch hier die preußische Städteordnung in Kraft, die ebenso wie das bisherige nassauische Gemeindegesetz nur von einem Dreiklassenwahlrecht ausging. Am 5. Oktober 1891 konnten 30 nach diesem Recht gewählte Stadtverordnete in dem 1876 fertiggestellten neuen Rathaus von Biebrich-Mosbach zu ihrer ersten Sitzung zusammentreten. Regierungspräsident Trepper-Laski führte am 7. Mai 1892 den neu gewählten ersten Bürgermeister, Gerichtsassessor Rudolf Vogt, in sein Amt ein; Rudolf Vogt, ein Mann, der die Industrialisierung Biebrichs stark vorantrieb und der für die städtische Entwicklung bis zur Eingemeindung nach Wiesbaden verantwortlich zeichnete. Mit dem Vereinigungsvertrag von Dezember 1923 trat auch Vogt in den Ruhestand.

Für Wiesbaden galt ebenfalls die preußische Städteordnung von 1891 und damit das Dreiklassenwahlrecht, das die wahren politischen Verhältnisse gravierend verfälschte und die Wohlhabenden gegenüber den Einkommensschwächeren stark privilegierte. Doch auch Wiesbaden hatte mit Carl von Ibell seit 1883 einen klugen und weitsichtigen Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt, der mit dem Wohlwollen des Kaisers in Berlin Wiesbaden zu einer Weltkurstadt entwickeln konnte. Rathaus, Theater, Kurhaus, Kochbrunnen und Hauptbahnhof sind die bekanntesten Projekte, die unter seiner Ägide errichtet und für eine ganze Epoche bezeichnend geworden sind. Beide Städte sind in dieser Zeit weniger durch ihre parlamentarischen Gremien als durch die auf den Kaiser und seine Repräsentanten bezogenen Einzelpersönlichkeiten bestimmt worden. Das sollte sich erst mit dem Ende der kaiserlichen Epoche ändern.

Deutsches Reich und Weimarer Republik

Das Ende des 19. Jahrhunderts stand immer stärker im Zeichen einer faktischen Parlamentisierung auf Reichsebene. Das hatte zwei Gründe: Zum einen wurde offenbar, daß die Nachfolger Bismarcks nicht dessen politische Stärke und Durchsetzungskraft aufweisen konnten, was die politische Spitze des Reichs schwächte. Zum anderen wuchs die Bedeutung des Reichstages dadurch, daß sowohl aus seiner Mitte bestimmte gesetzgeberische Tätigkeiten initiiert wurden als auch die von der politischen Spitze geforderte Zustimmung zu einzelnen Gesetzesveorhaben des Reichskanzlers und seiner Staatssekretäre durch Konzessionen bei der Stärkung parlamentarischer Mitspracherechte bezahlt werden mußten. Dabei spielte das Budgetrecht oft eine entscheidende Rolle. Bezeichnend für einen Wendepunkt im Verständnis des Parlamentarismus war eine politische Krise, die 1908 um den Reichskanzler von Bülow entstand. Letzterer stützte sich im Reichstag auf eine bestimmte Parteiengruppierung, den "Bülow-Block", der rechts vom Zentrum angesiedelt war. Als der Reichskanzler zwecks Erschließung neuer Finanzquellen eine Nachlaßsteuer einführen wollte und sein Verbleiben im Amt ausdrücklich von der Unterstützung seines Blocks abhängig machte, nutzte das oppositionelle Zentrum diese Chance, lehnte die Forderungen von Bülows ab und verabschiedete mit den Konservativen eine Steuerreform nach seinen eigenen Vorstellungen. Von Bülow reichte sofort seinen Abschied ein. Zum ersten Mal hatte eine selbstständige und aktive Mehrheitsbildung in der Geschichte des Reichsparlaments stattgefunden und zum Rücktritt eines Reichskanzlers geführt.

Das Erstarken seines Selbstbewußtseins brachte der Reichstag, nachdem sich 1912 das Kräfteverhältnis zugunsten der SPD gewandelt hatte, in der Änderung seiner Geschäftsordnung zum Ausdruck: Von nun an konnte der Reichstag ausdrückliche Anträge auf Billigung oder Mißbilligung der Regierung verabschieden. Dieser nach Artikel 27 der Reichsverfassung legitimierte Schritt, der in der Autonomie des Reichstages begründet lag, stärkte den Parlamentarisierungsgedanken und führte gegen Ende des Kaiserreiches sogar zu dem Zugeständnis des Kaisers, daß eine Regierung immer zurücktreten muß, wenn sie nicht mehr das Vertrauen der Mehrheit besitzt. Mit dem "Parlamentarisierungserlaß" vom September 1918 und seiner Aufnahme in die Reichsverfassung durch ein Gesetz vom 28. Oktober 1918 wird dieser Gedanke ausdrücklich und konsequent, aber zu spät, in die Tat umgesetzt.

Revolution und Weimarer Verfassung

Die Ereignisse des Ersten Weltkrieges überdecken zunächst alle verfassungspolitischen Auseinandersetzungen. Die einstimmige Bereitstellung der für die Kriegsführung erforderlichen Mittel durch den Reichstag entsprach der Stimmung des Volkes und seinem politischen Willen. Erst die Folgen der einzelnen Geschehnisse vermitteln das Bewußtsein, daß auch die politische Verfassung der Gesellschaft an Ursachen und Verlauf der europäischen Geschichte nicht unbeteiligt war. Der Aufstand der Kieler Matrosen am 20. Oktober 1918 bildet den Ausgangspunkt für die Unruhen im ganzen Land. Anlaß ist die Entscheidung der obersten Flottenführung, in völliger Verkennung der politischen Lage noch eine Entscheidungsschlacht gegen die britische Flotte herbeiführen zu wollen. Als die Besatzungen der beiden Linienschiffe "Thüringen" und "Helgoland" den Gehorsam verweigern und etwa 1.000 Meuterer unter der Androhung der Erschießung in die Militärgefängnisse gebracht werden, kommt es zum Aufstand der gesamten Flottenbesatzung, welchem sich schnell Hafenarbeiter und Landsoldaten anschließen. Mit der Wahl von Soldatenräten, der Entwaffnung der Offiziere, der Befreiung der Inhaftierten und der Besetzung aller öffentlichen Gebäude wird Kiel am 4. November 1918 zum revolutionären Ausgangspunkt für das ganze Reich. Überall bilden sich Arbeiter- und Soldatenräte. Am 9. November kommen 1.000 bewaffnete Kieler Matrosen nach Berlin, um zusammen mit anderen Soldaten und Arbeitern zu demonstrieren, öffentliche Gebäude zu besetzen und die Wahl von Arbeiter- und Soldatenräten vorzubereiten.

Der 9. November 1918 wird zu einem entscheidenden Tag in der deutschen Geschichte: Kaiser Wilhem II., der am 29. Oktober zu Beratungen mit der obersten Heeresleitung nach Spa in Belgien gereist ist, wird zur Abdankung aufgefordert, zögert jedoch und überlegt, ob er nicht mit deutschen Truppen gegen das revolutionierende Berlin marschieren soll. Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg macht dem Kaiser den Vorschlag, ins Exil zu gehen. Auch der Reichskanzler Prinz Max von Baden versucht, den Kaiser von einer Abdankung zu überzeugen mit dem Ziel, die Monarchie zu retten. Als sich die Verhältnisse am 9. November 1918 in Berlin zuspitzen und Prinz Max von Baden gegen 11.00 Uhr aus Spa erfährt, daß der Kaiser abdanken wolle, der genaue Text jedoch erst später folgen werde, verkündet der Reichskanzler gegen 12.00 Uhr eigenmächtig die Abdankung Kaiser Wilhelms II., ernennt gegen 13.00 Uhr den Führer der Mehrheitssozialdemokraten Friedrich Ebert zum neuen Reichskanzler und tritt selbst zurück.

Gegen 14.00 Uhr wird von Philipp Scheidemann, ebenfalls ein Mitglied der Mehrheitssozialdemokraten, von dem Balkon des Berliner Reichstages aus die Deutsche Republik mit dem Ziel der Institutionalisierung einer parlamentarischen Demokratie ausgerufen. Gegen 15.00 Uhr proklamierte Karl Liebknecht, der Führer des Spartakusbundes, vom Berliner Schloß aus die Errichtung einer Freien Sozialistischen Republik mit dem Ziel der Einführung einer Rätedemokratie. Noch an demselben Tag danken die übrigen deutschen Fürsten ab und überlassen die Macht den überall gebildeten Arbeiter- und Soldatenräten.

In den folgenden Wochen kann sich die sozialdemokratische Mehrheit unter der Führung von Friedrich Ebert durchsetzen. Der in Berlin tagende Reichskongreß der Arbeiter- und Soldatenräte beschließt die Einsetzung eines Rates der Volksbeauftragten, welcher übergangsweise die volle Regierungsgewalt ausüben soll. Mit dem Inkrafttreten des Waffenstillstandes am 11. November 1918 sind zunächst auch die äußeren Voraussetzungen für eine Normalisierung gegeben. Der Rat beschließt zudem, am 19. Januar 1919 Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung durchzuführen. Ebert bemüht sich um administrative Kontinuität. Trotz des revolutionären Charakters des Umbruchs bleiben die oberste Heeresleitung, die sich dem neuen Reichskanzler unterstellt, und die meisten der die einzelnen Reichsämter leitenden Staatssekretäre im Amt. Schon am 15. November wird der Auftrag zur Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs an den linksliberalen Staatsrechtler Hugo Preuß vergeben. Am 6. Februar 1919 tritt die nach einem Verhältniswahlsystem - erstmal auch unter Einbeziehung der Frauen - gewählte verfassungsgebende Nationalversammlung in Weimar zusammen. Am 11. Februar wird ein Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt verkündet und Ebert zum Reichspräsidenten gewählt. Die am 31. Juli 1919 angenommene Verfassung tritt am 14. August 1919 in Kraft.

Die Weimarer Verfassung institutionalisierte nun endgültig das parlamentarische System. Nach Artikel 54 bedurften der Reichskanzler und die Reichsminister des Vertrauens des Reichtages. Jeder von ihnen war zum Rücktritt verpflichtet, wenn ihm der Reichstag durch ausdrücklichen Beschluß das Vertrauen entzog. Andererseits verblieb das Ernennungsrecht für die Regierung bei dem Staatsoberhaupt, dem Reichspräsidenten, der direkt vom Volk gewählt und mit umfangreichen Vollmachten ausgestattet wurde. Insbesondere das Notstandsrecht des Artikels 48 räumte ihm eine verfassungsrechtliche Stellung ein, die im Verlauf der folgenden Jahre dazu führen sollte, daß sich der machtpolitische Schwerpunkt immer mehr vom Reichstag auf den Reichspräsidenten verlagerte. Im Zusammenspiel mit Artikel 76 der Verfassung, nach dem der Reichstag die Verfassung mit Zweidrittelmehrheit jederzeit in vollem Umfang abändern konnte, wies das neue Verfassungsrecht Gefährdungspotentiale auf, die am Anfang nicht erkannt und als sie sichtbar wurden, nicht mehr geändert werden konnten. Die Tatsache, daß sich ein Parlament in einer extremen Situation selbst aufgeben und einem anderen System Platz machen könnte, war nicht in den Kreis der möglichen Überlegungen einbezogen worden.

Der Niedergang des parlamentarischen Systems

Auch in den beiden Residenzstädten Biebrich und Wiesbaden war die Übergangszeit durch die Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten geprägt. In Wiesbden vollzog sich der Übergang weitgehend gewaltlos: Der den Soldatenrat leitende Assessor Schlitt, ein ehemaliger Adjutant des Kommandeurs eines Ersatzbataillons, tat als Wiesbadener Stadtkommandant alles, um Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten, größere Ausschtreitungen zu verhindern und die zurückkehrenden deutschen Truppen angemessen zu empfangen. Auch in Biebrich bildete sich ein Arbeiter- und Soldatenrat, der Ruhe und Ordnung aufrechterhielt.

In dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 waren jedoch auch die Besetzung des linksrheinischen Gebietes und die Bildung von Brückenköpfen jenseits des Rheins vereinbart worden. So zogen am 13. Dezember 1918 französische Truppen in Biebrich und Wiesbaden ein; die Wiesbadener Regierung wurde den Befehlen des Colonel Pineau unterstellt. Wiesbaden und Biebrich waren damit zumindest bis zum Abzug der französischen Truppen im Jahre 1925 von den politischen Geschehnissen im Reich weitgehend isoliert.

Im Reichsgebiet vollzog sich jedoch ein immer stärker werdender Trend zur Radikalisierung. Weder die links- noch die rechtsextremistischen Gruppen waren bereit, die neue Verfassungslage zu akzeptieren. Schon im Januar und März 1919 erschütterten die linken Spartakusaufstände Berlin. Im April 1919 mußte die Reichsregierung die Reichswehr und Freikorpsverbände gegen die Ausrufung einer Räterepublik in Bayern einsetzen. Der tiefe Haß zwischen den radikalen Gruppen führte am 15. Januar 1919 zur Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, den Führern der unabhängigen Sozialdemokraten.

Die Bekanntgabe der Bedingungen des Versailler Friedensvertrages vertiefte die bereits bestehenden Spannungen zusehends. Denn der Vertrag sah nicht nur erhebliche Gebietsabtretungen und die weitere Besetzung des Rheinlandes vor, sondern forderte auch die Verkleinerung des Heeres auf einen Bestand von 100.000 Mann und erlegte dem Reich Reparationszahlungen in einem Umfang auf, der nicht ohne Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung bleiben konnte. Mit dem sogenannten Kapp-Putsch versuchten 1929 rechtskonservative Kräfte die Macht in Berlin an sich zu reißen. Die Regierung mußte nach Stuttgart fliehen. Nur ein vom Reichspräsidenten und den Gewerkschaften initiierter Generalstreik sowie die Loyalität der Berliner Ministerialbürokratie verhinderten die Errichtung eines autoritären Systems.

Auch die folgenden Jahre brachten keine Entspannung. Die Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger (1921) und des Außenministers Walter Rathenau (1922) charakterisierten diese Zustände symbolisch. 1923 verstärkten sich die Auflösungserscheinungen. Ruhrkampf, Unruhen in Bayern und Sachsen, ein kommunistischer Aufstand in Hamburg und der Versuch, unter französischer Protektion eine "Rheinische" und eine "Pfälzische" Republik zu begründen, führten an den Rand des Chaos. Zuletzt, als im Oktober 1923 rechtsradikale Gruppen aus Bayern in Sachsen eindrangen, sah sich die Reichsregierung gezwungen, zu der Notmaßnahme der Reichsexekution gemäß Artikel 48 Absatz 2 der Reichsverfassung zu greifen. Sie ging damit nicht nur gegen kommunistische Kampfgruppen, sondern erstmals auch gegen eine gewählte parlamentarische Landesregierung vor.

In diesen Jahren gewann das Notverordnungsrecht des Reichspräsidenten eine zunehmende Bedeutung. Die Unbeweglichkeit der Parteipolitik, die Radikalisierung auf allen Gebieten und die tiefe Abneigung vieler Parteien und Bevölkerungsgruppen gegen die paralamentarische Demokratie führten zu einem faktischen Verfassungswandel, in dem der Reichspräsident mit Hilfe wiederholter Auflösungen des Reichstages und anschließenden Neuwahlen sowie durch Ausdehnung seines Notverordnungsrechtes von einer Krise in die nächste schlitterte.

Mit der Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen im Herbst 1929 begannen die maßgebenden politischen Kräfte, auch die parlamentarische Demokratie als Staatsform in Frage zu stellen. Insbesondere die bürgerkriegsähnlichen Zustände, die durch die Schaffung von parteieigenen Kampftruppen immer mehr an Boden gewonnen hatten, ließen offen den Wunsch nach einer starken Führung laut werden, die nicht mehr auf die desolaten Verhältnisse im Reichstag angewiesen sein sollte. Die Zuspitzung dieser Situation in den letzten Jahren der Weimarer Republik ist durch die Hilflosigkeit des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg gekennzeichnet, der schließlich am 30. Januar 1933 die Ernnung Adolf Hitlers zum Reichskanzler vollzog und damit die Voraussetzungen für die Machtergreifung des Nationalsozialismus schuf. Die hinter Hindenburg stehenden Gruppen der Wirtschaft, der Industrie, des Militärs und der Verwaltung wollten diesen Schritt, weil sie sich vor der zunehmenden Stärke der Kommunisten fürchteten.

Adolf Hitler wollte jedoch den autoritären Führerstaat. Der Reichstagsbrand diente zum Vorwand, um Hindenburg am 28. Februar 1933 zur Unterzeichnung einer Notverordnung zu bewegen, mit der "zum Schutz von Volk und Staat" die wichtigen Grundrechte beseitigt wurden. Der Reichstag löste sich mit einer Zweidrittelmehrheit zum Ermächtigungsgesetz am 24. März 1933 selbst auf, eine Situation, für die die Verfassungsväter keine Vorsorge getroffen hatten. Trotzdem wird man nicht sagen können, daß es sich um eine legale Machtergreifung handelte. Die neuere Forschung hat zu Recht darauf hingewiesen, daß wegen einer ganzen Kette von Verstößen gegen das noch geltende Recht nur eine Scheinlegalität begründet werden konnte, mit der dem Volk seitens der neuen Führung ein legaler Übergang der Macht vorgetäuscht werden sollte.

Demokratischer Aufbruch

Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges und der Zerstörung der staatlichen Einheit Deutschlands kehren wir auf dem weiten Weg von der Monarchie zur Republik wieder in die alten Residenzstädte Wiesbaden und Biebrich zurück. Biebrich, 1926 eingemeindet, war nun ein Stadtteil von Wiesbaden, Schon am 28. März 1945, also noch vor der bedingungslosen Kapitulastion am 8. Mai 1945, wurden Biebrich und Wiesbaden von den Amerikanern besetzt. Die amerikanische Besatzungsmacht faßte die Gebiete der alten preußischen Provinz Hessen-Nassau sowie des ehemaligen Volksstaates, soweit sie zum amerikanischen Besatzungsgebiet gehörten, zu einem neunen Land "Groß-Hessen" zusammen.

Am 12. Oktober 1945 wurde Wiesbaden zur Landeshauptstadt bestimmt. Die zunächst von den Amerikanern provisorisch eingesetzte Landesregierung unter ihrem Ministerpräsidenten Karl Hermann Geiler umfaßte Mitglieder aller politisch zugelassenen Parteien. Aufgrund einer Anordnung der Militärregierung berief der Ministerpräsident am 4. Februar 1946 eine Verfassungskommission, die schon im Juni 1946 einen ersten Entwurf vorlegte. Am 30. Juni 1946 wurde eine verfassungsgebende Landesversammlung gewählt, deren Vorlage am 1. Dezember 1946 mit der gleichzeitigen Wahl des 1. Hessischen Landtages durch Volksabstimmung angenommen wurde.

Als erstes der deutschen Länder machte das Land Hessen mit dieser Verfassung einen Neuanfang im demokratischen Aufbau des Staatswesens. Das parlamentarische System wurde in den Artikeln 101 ff. niedergelegt. Alle Abgeordneten waren sich von Anfang an in dem Ziel einig, alle nur denkbaren Vorkehrungen gegen die Wiederkehr einer faschistischen Diktatur zu schaffen. Deshalb sieht Artikel 1450 zum Schutz der Verfassung ein Verbot der Änderung der demokratischen Grundgedanken dieser Verfassung und der republikanisch-parlamentarischen Staatsform vor. Ausdrücklich wurde die Errichtung einer wie auch immer gearteten Diktatur verboten. Um den Mißbrauch von gesetzgebenden und exekutiven Befugnissen zu verhindern, schaffte man die Institution eines Staatsgerichthofes, der die Aufgabe hat, über das rechtsstaatliche Verhalten der Staatsorgane zu wachen.

Mit der Aufnahme des Hessischen Landtages in das von den Nassauer Herzögen erbaute Stadtschloß schließt sich der Kreis: Wo einst die Monarchie residierte, gestaltet heute der Volkssouverän das politische Leben.

1949 wird Hessen zu einem Land der Bundesrepublik Deutschland. Auch das am 23. Mai 1949 in Kraft getretene Grundgesetz für die Bundesrepublok Deutschland sichert im Artikel 79 Absatz 3 mit einer Bestandsgarantie das parlamentarische System, in dem der in Artikel 20 Absatz 2 niedergelegte Grundsatz, daß alle Staatsgewalt vom Volke ausgeht, gegen eine Veränderung geschützt ist. Damit sind sowohl in der Verfassung des Bundeslandes Hessen als auch im Grundgesetz des Gesamtstaates der Bundesrepublik Deutschland Lehren aus der Weimarer Zeit verfassungstheoretisch gezogen worden.

Der weite Weg von der Monarchie zur Republik, der durch unendliche Mühen, Leiden und Irrwege gekennzeichnet ist, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß jedes politische System nur so gut funktioniert, wie das Volk, das es trägt, dafür einzutreten bereit ist.

 
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